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ST. LOUIS VOR HAVANNA

 
 
 
 
Inventar-Nr.
I/05787/92
Systematik
Gemälde, Grafik, Tusche/Grafik/Dampfschifffahrt
 
Datierung
20. Jh.
 
Personen / Körperschaften
Jürgens
 
Material / Technik
Aquarell
Maße
Gewicht: 3,84 kg
Maß: 64,30 x 82,10 x 2,80 cm
Objektmaß: 62 x 43 cm
 
Beschreibung

Das Aquarell von Hans Peter Jürgens (Inventarnummer I/05787/92) zeigt das Auswanderschiff ST LOUIS vor Havanna/Kuba vor Anker liegend. Eine Beischrift gibt Auskunft über Ort, Tag und Zeit: »Morgens der 27. Mai 1939 - Havana«.
Das DSM hat dieses Aquarelle 1992 direkt von dem norddeutschen Marinemaler, Kapitän und Kap Hoornier Hans Peter Jürgens (1924 – 2018) erworben. Jürgens stammte aus einer Cuxhavener Seefahrerfamilie. Am 14. Mai 1939 verließ der damals 15-jährige Jürgens das Gymnasium ohne Abschluss und heuerte als Schiffsjunge an. Er wurde auf dem Frachtsegler PRIWALL eingesetzt. Diese Viermastbark war einer der letzten legendären Flying P-Liner der Reederei F. Laeisz und der letzte frachtgehende Rah-Segler ohne Hilfsmotor, welcher das Kap Hoorn auf Fahrt nach Westen umsegelte.
Auf dieser Fahrt lag die PRIWALL auch im kubanischen Havanna. Am Morgen des 27. Mai 1939 ankerte ebendort in der Bucht der Passagierdampfer ST LOUIS der Hamburg-Amerika-Line (HAPAG), die sich auf einer Sonderfahrt nach Kuba befand. An Bord waren 937 Passagiere, nahezu ausnahmslos deutsche Jüdinnen und Juden, die nach den gewalttätigen Ausschreitungen des Novemberpogroms 1938 aus dem nationalsozialistischen Deutschen Reich geflüchtet waren. Kurz vor ihrem Ziel hatte die kubanische Regierung der ST. LOUIS jedoch das Anlegen am Pier verweigert.
Und diesen Morgen hält Hans Peter Jürgens in seinem Aquarell fest: zwei kleine Boote segeln an dem mächtigen Dampfer ST LOUIS vorbei, während sich ein kleineres Dampfschiff unter kubanische Flagge auf die ST LOUIS zu bewegt – an Bord befinden sich Personen in weißen Uniformen. Am seitlichen Rumpf der ST LOUIS hängt aus einer geöffneten Luke eine Strickleiter, der den Zugang auf das Schiff ermöglicht. An Deck sind keine erkennbaren Personen auszumachen.
Jürgens hält mit seinem Aquarell einen ethisch äußerst tragischen Moment in der Weltgeschichte fest. Denn dies ist der Beginn der schicksalshaften Irrfahrt von Jüdinnen und Juden über den Atlantik, die sich auf der Flucht aus dem Deutschen Reich befinden, um ein neues Leben in Übersee zu beginnen, aber von keinem Land aufgenommen werden sollten.
Die kubanischen Visabestimmungen waren kurz vor der Ankunft der ST LOUIS geändert worden, und die dortigen Behörden verweigerten den Passagieren in Havanna nun die Einreise, obwohl alle Passagiere bei Abfahrt gültige Papiere bei sich hatten. Nach zähen Verhandlungen des deutschen Kapitäns Gustav Schröder durften nur 29 Passagiere von Bord gehen.
Am 2. Juni 1939 musste die ST LOUIS Kuba verlassen. Sie kreuzte dann vor der US-Küste Floridas, während Kapitän Schröder, die HAPAG und jüdische Organisationen mit der US-Regierung verhandelten. Aber vergebens, denn am 4. Juni 1939 lehnte US-Präsidenten Roosevelt das Anlegen des Schiffes in den USA und die Einreise der Flüchtlinge ebenso ab. Das gleiche Schicksal ereilte die Menschen auf der ST LOUIS an Kanadas Küste. Schließlich musste das Schiff auf Anweisung der HAPAG nach Europa zurückkehren. Für die Jüdinnen und Juden an Bord eine extrem tragische Situation.
Erst kurz bevor die ST LOUIS den Ärmelkanal erreichte, konnten die Jüdische Weltorganisation und HAPAG-Direktor Holthusen die Regierungen von Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien zur Aufnahme der Auswander:innen bewegen. Die ST LOUIS landete am 17. Juni 1939 in Antwerpen. Die dort von Bord gegangenen Flüchtlinge wurden von Belgien, den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien aufgenommen. Mit der Besetzung Belgiens, der Niederlande und Frankreichs durch die Wehrmacht im Sommer 1940 geriet die Mehrzahl der Jüdinnen und Juden nun jedoch wieder in den Herrschaftsbereich des NS-Regimes. Etwa nur die Hälfte der über 900 Passagiere der ST LOUIS überlebten den Holocaust.
Die ST LOUIS versah danach wieder ihren üblichen Dienst. Dabei gelang es ihr, noch kurz vor Kriegsbeginn New York zu verlassen. Sie durchfuhr zwischen dem 4. und 8. September 1939 unentdeckt die Dänemarkstraße und traf am 11. September 1939 im sowjetischen Murmansk ein. Dort lag sie bis Dezember 1939. Dann fuhr sie entlang der norwegischen Küste nach Deutschland, und erreichte Hamburg am 1. Januar 1940.
Mit an Bord war unter anderem das nicht entladene Umzugsgut von drei jüdischen Auswanderer:innen: Elsa Blumenstein aus Wien, Martin und Mathilde Jacobowitz aus Berlin sowie Herbert und Emmy Manasse ebenso Berlin. Ihre Liftvans und Kisten voller Hausrat wurden im Januar in Hamburg gelöscht und zunächst eingelagert, bis das dortige Amtsgericht Pflegschafter für die Ladungen einsetzte. Diese ließen das Umzugsgut meistbietend versteigern; die Erlöse wurden auf einem Sparbuch deponiert. Auf diesen und auch vergleichbaren Versteigerungen erwarben Händler und Hamburger Bürger günstig unzählbar viele Gegenstände. Somit gelangte das Hab und Gut der jüdischen Auswanderer in tausende norddeutsche Haushalte und auch öffentliche Einrichtungen wie Museen und Bibliotheken – sofern noch erhalten könnten sie sich auch noch heute noch dort befinden. Die Eigentümer der Umzugsgüter sahen weder ihr Hab und Gut noch den Erlös der Versteigerung wieder. In der Nachkriegszeit klagten die Überlebenden oder deren Nachfahren auf Rückerstattung bei der Hamburger Wiedergutmachungsbehörde. Da die Gegenstände in alle Winde verstreut waren, wurden sie jedoch meist mit einer - dem eigentlichen Wert der Güter zu gering berechneten - monetären Ausgleichszahlung entschädigt. Elsa Blumenstein sowie Herbert und Emmy Manasse wurde im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. Martin und Mathilde Jacobowitz überlebten und waren nach 1945 maßgeblich am Aufbau der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg beteiligt.
Ein Forschungsprojekt am DSM hat sich dem Entzug der Umzugsgüter jüdischer Auswanderer:innen in den Häfen von Hamburg und Bremen gewidmet. Dabei wurde eine frei zugängliche Datenbank entwickelt, in der nach entzogenem Umzugsgut und deren Eigentümer:innen gesucht werden kann: http://lostlift.dsm.museum. Hier finden sich auch weitere Informationen zu den auf der ST LOUIS transportierten und in Hamburg versteigerten Umzugsgütern und den Schicksalen der Eigentümer:innen.

Autorin: Dr. Kathrin Kleibl

Hinweis

Das DSM digitalisiert seine Sammlung und öffnet sie für alle. Wie in vielen historischen Sammlungen sind auch in den Beständen des DSM Archivalien und Objekte mit rassistischer und anderweitig diskriminierender Sprache dokumentiert. Wir möchten daher darauf hinweisen, dass verletzende Sprache und Bilder in der digitalen Sammlung vorkommen können. Das DSM versteht sich als forschende und lernende Institution und arbeitet seine Sammlungsbestände kritisch auf.
Wir danken für Hinweise zu diskriminierender (Bild-)Sprache, fehlender sowie falscher Information.

Kontakt

Wir freuen uns über Anregungen, Fragen und Hinweise (mit Angabe der Inventar­nummer oder Signatur) unter
digitaldepot­@dsm.museum

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