Inventar-Nr.;Objekttitel;Systematik;Datierung;Geografischer Bezug;Personen / Körperschaften;Material;Maße;Beschriftung;Beschreibung; ;Hapag-Lloyd Presse-Information u. Fotos zum 100-jährigen Jubiläum der Westindienfahrt, Hamburg, März 1971;;1971;;HAPAG-LLOYD AG ;;;;Es war einmal eine hessische Prinzessin, die Königin von Dänemark wurde. Diese Prinzessin hieß Charlotte Amalie (1650-1714), als sie Königin war, wurde ihr zu Ehren eine Stadt nach ihr benannt. Diese Stadt lag auf der karibischen Insel St. Thomas, fern vom dänischen Festland. St. Thomas, ebenso wie die Nachbarinseln St. Croix und St. John, waren seit dem 17. Jahrhundert dänische Kolonien, bis sie 1917 von den USA gekauft wurden.<br class=»linefeed« />Von der Königin Charlotte Amalie erzählt das Foto nichts, doch aber von der gleichnamigen Stadt und von dänisch-deutscher Kolonialgeschichte. Denn dänische Siedler betrieben auf den Inseln zahlreiche Plantagen, und deren Erträge an Zuckerrohr, Tabak, Kaffee und Kakao machten die Inseln zu attraktiven Anlaufstellen für deutsche Reedereien. Die HAPAG richtete, genau wie der NDL, 1871 die erste Schifffahrtslinie nach Westindien ein. Doch während der Norddeutsche Lloyd seinen Liniendienst nur drei Jahre später wieder einstellen musste, war die HAPAG so erfolgreich, dass sie zwischen 1874 und 1879 sogar den Postdienst zu den karibischen Inseln stellte. Vorrangig aber fuhr die HAPAG in die Karibik und nach Mittelamerika, um Waren wie Zucker, Kaffee, Kakao, Holz, Tabak, Kopra (Gewebe aus Kokosnüssen), Zink- und Bleierze, Baumwolle und anderes nach Norddeutschland zu bringen.<br class=»linefeed« />Auf St. Thomas errichtete die Reederei ihr zentrales Büro, es ist mittig auf der Fotografie abgebildet. Links außen im Bild sitzen drei bürgerlich gekleidete Menschen auf einer Erhöhung, wahrscheinlich eine Bank, vor dem Gebäude, während etwa mittig im Bild eine Person in Arbeitskleidung die Beine anwinkelt, weil sie auf einer kleinen Stufe nah über dem Boden sitzt. Im ersten Stock des Gebäudes, ebenfalls im linken Teil des Bildes, schaut eine Person aus dem offenen Fenster. Auf der rechten Seite führt eine Außentreppe in den ersten Stock, oben lehnen zwei Männer in weißer Kleidung lässig im Türrahmen. Das Innere des Gebäudes bleibt im Dunklen. Alle sieben Personen auf dem Bild gucken direkt in die Kamera. Es ist kein Schnappschuss, sondern eine inszenierte Aufnahme, die wahrscheinlich im Auftrag der Reederei aufgenommen wurde.<br class=»linefeed« />Bis auf die zwei im Türrahmen stehenden Männer sind alle Personen auf dem Bild Schwarz. Es wurde knapp 100 Jahre nach dem offiziellen Ende des dänischen Sklavenhandels aufgenommen. Während die zwei weißen Männer wahrscheinlich Abgesandte der Reederei sind, werden die weiteren fünf Personen auf der Insel oder einer der Nachbarinseln geboren worden sein.<br class=»linefeed« />Zwischen 1667 und 1803 wurden über 100.000 Menschen über die Mittelpassage aus Afrika in die dänischen Kolonien in der Karibik verschleppt und für die Arbeit auf den Plantagen versklavt. Zwar verkündete Dänemark als erstes Land 1792 mit Wirkung ab 1803 das Ende des Sklavenhandels, doch führte dies in der Übergangsperiode zu einem Aufschwung des Menschenhandels. Die Plantagenbesitzer fürchteten um die günstige Arbeitskraft und setzten sich das Ziel, ausreichend Menschen zu verschleppen, um den Arbeitsbedarf auf den Plantagen über Generationen abzusichern. Daher endete auch nach dem offiziellen Ende des Sklavenhandels 1803 die eigentliche Sklaverei auf den Inseln nicht. Erst ein Aufstand Versklavter in Frederikssted auf der Insel St. Croix im Jahr 1848 führte zu ihrem Ende. Doch auch danach besserte sich die Lebenssituation der Schwarzen Menschen in den dänischen Kolonien nur langsam.<br class=»linefeed« />Auf dem Bild sehen wir keine versklavten Menschen, sondern ihre Nachkommen. Sie werden auf die eine oder andere Weise in die Geschäfte der Reederei eingebunden gewesen sein, als Büroangestellte, Hafenarbeiter*innen, Hausangestellte oder auch Reisende. Von ihnen steht nichts in den Geschäftsberichten der Reederei, die in der gleichen Archivmappe liegen. Können wir trotzdem mehr von ihnen und ihrem Leben erfahren?<br class=»linefeed« />Ja, wahrscheinlich lernen wir in Randnotizen, in weiteren Geschäftsberichten und Fotografien und den Lücken des Archivs mehr (siehe hierzu Hartman 2008). Doch bei allen Archivrecherchen, die dazu notwendig sind, soll auch bedacht werden, dass das Erzählen von Geschichte nie einen neutralen Akt darstellen wird. Insbesondere Digitalisierungsprozesse in den kolonialen Archiven bieten das Potenzial Geschichtserzählungen über Ländergrenzen hinweg zu öffnen und zu multiplizieren. Doch lässt beispielsweise die Darstellung eines Digitalisats koloniale Welten wieder aufleben, weshalb einige sogar von einem »haunting« dieser sprechen (vgl. Meyer; Odomusu, 2020: 41). Die Auseinandersetzung mit Gewaltgeschichte geht deshalb immer auch mit Fragen einher, die Daniela Agostinho im Kontext der dänischen Kolonialgeschichte über ihre Hartman-Rezeption stellt: »‘Why look at these images again?‘, ‘What are the ethics of looking? ‘, ‘What claims are articulated by these images, and what is it that they demand of me? ‘« (Agostinho, 2022: 41, Hartman, 2011: 522).<br class=»linefeed« /><br class=»linefeed« />Was also will das Bild von mir? Die HAPAG und der NDL richteten ihre Linien nach Westindien im Gründungsjahr des Deutschen Reiches ein, die Sklaverei war zu dem Zeitpunkt abgeschafft und das Herzogtum Schleswig lag in deutscher Hand. Während der deutsche Kolonialismus noch Anlauf nahm, konnten deutsche Händler und Reedereien längst prächtig von den Kolonien der europäischen Nachbarländer profitieren. Die Geschichte Dänisch-Westindiens ist deshalb nicht nur dänische Kolonialgeschichte, sondern auch deutsche; sie ist afrikanische Geschichte und selbstverständlich karibische Geschichte. Ich denke, das Bild verlangt, von genau jenen gewaltvollen Verstrickungen zu erzählen, die überhaupt erst mit der modernen europäischen Schifffahrt möglich wurden.<br class=»linefeed« /><br class=»linefeed« />Hinweis: Dieser Beitrag beruht auf einem Zeitungsartikel, der am 12.10.2023 in der Landeszeitung für die Lüneburger Heide erschienen ist<br class=»linefeed« /><br class=»linefeed« />Literatur:<br class=»linefeed« />Agostinho, Daniela. »Encounters with the Danish Colonial Archive: Affect, Labour and Spaces of Care«, in Inward Outward, Emotion in the Archive. Rachel Somers Miles, Alana Osbourne, Esther Captain, Eleni Tzialli, Alessandra Benedicty-Kokken, Carine Zaayman, Alison Fischer, Wayne Modest (Hg). Hillesum (NL): Inward, Outward, 2022, S. 39-42.<br class=»linefeed« />Hartman, Saidiya. «Venus in Two Acts”, in Small Axe, no. 26, June 2008, S. 1-14.<br class=»linefeed« />Hartman, Saidiya. »Delia's Tears: Race, Science, and Photography”, in Nineteenth-Century America, Journal of American History, Volume 98, Issue 2, September 2011, S. 520-522<br class=»linefeed« />Meyer, Mette Kia Krabbe; Odumosu, Temi. »One-eyed Archive: Metadata Reflections on the USVI Photographic Collections at the Royal Danish Library”, in Digital Culture & Society, vol. 6, no. 2, 2020, S. 35-62.<br class=»linefeed« />;