Inventar-Nr.;Objekttitel;Systematik;Datierung;Geografischer Bezug;Personen / Körperschaften;Material;Maße;Beschriftung;Beschreibung; I/08741/99;Skulptur aus einem Pottwalzahn;Zivile und bewaffnete Schifffahrt/Fischerei/Walfang;17. Jh.;;;Pottwalelfenbein;Maß: 10,30 x 5,90 x 4,80 cm Gewicht: 0,32 kg Objektmaß: 10,2 cm Durchmesser: 5,5 cm ;;Diese etwa 10,30 Zentimeter hohe Skulptur ist aus der unteren Hälfte des Unterkieferzahns eines jungen Pottwalbullen gefertigt worden. Dazu hatte man zunächst die obere Zahnhälfte entfernt. Wachstumsgröße wie an der vorliegenden Zahnhälfte beobachtet erreichen lediglich die Unterkieferzähne des Pottwals, wohingegen die Oberkieferzähne wesentlich kleiner ausfallen und aus dem Kiefer nicht sichtbar nach außen durchbrechen. Wie war aber der Zahn als Rohmaterial in Werkstatt und Hände des Skulpturenschnitzers gelangt? Frühe Hinweise auf die partielle Verarbeitung gestrandeter Wale in Europa stammen bereits aus dem 16. Jahrhundert, auch hatten Basken, Niederländer, Engländer, Franzosen und Dänen bereits im 16. oder 17. Jahrhundert den kommerziellen Walfang begonnen. Indes galt dieser frühe europäische Walfang zunächst noch ausschließlich den Bartenwalen, während Pottwale primär aus Strandungen bekannt und erst wesentlich später der aktiven Bejagung ausgesetzt waren. Das Rohmaterial dieser Skulptur dürfte, wie die nachfolgende Datierung unterstreichen wird, insofern eher eine Strandung als dem eigentlichen Walfang zu verdanken sein.<br class=»linefeed« />Die Skulptur ist offenbar mit feinen Werkzeugen in Bohr- und Schnitztechnik hergestellt worden. Sie stellt unten im Vordergrund eine Gruppe von sechzehn bärtigen Männern dar, die einander auf thronartigen Stühlen gegenübersitzen. Diese Vordergrundgruppe überwölbt, ähnlich einem geöffneten Theatervorhang, ein geflügeltes Köpfchen, das den Blick in die Tiefe und auf den Skulpturenhintergrund offenlässt. Dort steht in einer Nische Christus, ein Buch in seiner linken Hand, die rechte Hand erhoben. Zur Datierung der Skulptur können Haar- und Barttracht sowie die Kleidung der sitzenden Männer herangezogen werden, die auf eine Fertigung des Werkstücks in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts verweisen. Die breiten, gepflegten Voll- und Oberlippenbärte, das etwa nackenlange Haupthaar sowie die Spitzkragen aus ungestärktem, auf Schultern und Rücken herabfallendem Stoff begegnen ähnlich in einigen Gemälden der Zeit zwischen 1610 und 1640, so im Selbstbildnis Peter Paul Rubensʼ (1609/1610) sowie an der linken Vordergrundfigur der »Nachtwache« Rembrandt van Rijns (1642). An der Skulptur deutet die Kleidung der Herren auf Personen vornehmeren Standes, möglicherweise Kaufleute aus dem niederländisch-flämischen Raum, eindeutige Angaben zur Provenienz liegen allerdings nicht vor.<br class=»linefeed« />Die digitale Durchleuchtung der Skulptur offenbart die organisch-materielle Authentizität des Werkstücks und offenbart den Wachstumsprozess beim lebenden Tier. Im virtuellen, transparenten 3D-Modell erscheinen die äußeren, aus Walelfenbein gebildeten Zahnschichten als homogene Masse, wohingegen sich im Zahninneren um den trichterförmigen Zahnwurzelkanal auffällig heterogene Strukturen zeigen, die zur Zahnkrone (hier nach unten) hin dichter zu werden scheinen. Wie erklären sie sich? Pottwale bilden als einzige Zahnwale in der embryonalen Zahnleiste reihenweise untereinander angeordnete Zahnlagen aus (Hyperodontie). Stehen diese Zahnkeime eng nebeneinander, dann wachsen sie zusammen und bilden mehrkronige, sogenannte Kernzähne, die – von Elfenbein ummantelt – von außen nicht sichtbar sind. So ist es der Röntgenblick, welcher das Zahnmaterial eindeutig identifiziert. <br class=»linefeed« />Die Skulpturenrückseite weist einige rätselhafte Gravuren auf, die dem Artefakt – da eher nachlässig und oberflächlich eingeritzt – später hinzugefügt worden sein könnten. Zuoberst ist die Dreifachkrone oder Tiara eines Papstes zu sehen, darunter groß der Buchstabe F, unter dem wiederum die römische Zahl MCCCXXXIV (1334) erscheint. Ob damit eine Jahreszahl gemeint ist und der Buchstabe etwa auf ein bestimmtes Oberhaupt der katholischen Kirche Bezug nimmt, ist ungewiss. Ebenfalls ungeklärt ist der ursprüngliche Funktionszusammenhang der Skulptur. Ihre knaufartige Gestalt sowie der zu einem Profil ausgearbeitet untere Rand könnten darauf hindeuten, dass sie vormals als Bekrönung eines Zeremonialstabes oder Möbelaufsatz diente.<br class=»linefeed« />Diese einzigartige Skulptur und ihr digitales, dreidimensionales Abbild ermöglichen exemplarisch die forschungsgeleitete Vermittlung frühneuzeitlichen Kunsthandwerks, hier an Rohmaterial, das dem Meer wohl eher zufällig abgewonnen worden war, und offenbaren mithin die neuen Möglichkeiten, welche die Sammlungsdigitalisierung generiert.<br class=»linefeed« /><br class=»linefeed« />Literatur<br class=»linefeed« />G. Behrmann, Odontologie bezahnter Wale, in: Zahnheilkunde, Management, Kultur 17 3/01, S. 100-105.<br class=»linefeed« />;